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von MADDIN » Mi 11.04.07 12:10
Bahn fahren - weil´s vernünftig ist...
MITTWOCH
Liebes Tagebuch, ich schreibe Dir aus dem Reisezentrum der Deutschen
Bahn. Ich habe gerade viel Zeit zu schreiben, denn ich will einen
Fahrschein kaufen. Die ca. 200 anderen Leute, die außer mir hier sind,
wollen das auch, drum habe ich mir, um die Wartezeit zu überbrücken,
ein bisschen Arbeit und was zu lesen mitgebracht: "Der Herr der Ringe,
Band 1 - 3".
Die Deutsche Bahn hat jetzt ein neues Preissystem. Wenn man seinen
Fahrschein z.B. drei Tage vor Abfahrt des Zuges bucht, kostet er
weniger. Ich bin daher schon seit vorgestern hier. Leider bin ich
seitdem noch nicht an die Reihe gekommen, aber dafür kenne ich die
meisten anderen schon mit Vornamen. Ab und zu lade ich welche in mein
Zelt ein, und wir kochen uns was Leckeres auf meinem Campingkocher.
Ich hoffe, mein Konservenvorrat reicht noch bis Dienstag, da fährt
nämlich mein Zug.
DIENSTAG, FRÜHER MORGEN
Liebes Tagebuch, es könnte sein, dass ich heute doch noch rechtzeitig
drankomme. Sie haben nämlich einen zweiten Schalter aufgemacht, so
dass jetzt nur noch zwölf unbesetzt sind. So kriege ich zwar keinen
supergünstigen Frühbucher-Sparpreis mehr, dafür aber wenigstens meinen
Zug.
DIENSTAG, FRÜHER NACHMITTAG
Liebes Tagebuch, der Bahnbedienstete am Schalter hat mir meinen
Fahrschein netterweise doch zum Frühbucher-Sparpreis verkauft. Mein
Zug hat nämlich schätzungsweise drei Tage Verspätung. Welch ein Glück,
denn vom gesparten Geld kann ich meinen Konservenvorrat wieder
auffrischen!
FREITAG
Liebes Tagebuch, als ich vorhin in den Zug eingestiegen bin, haben mir
alle vom Bahnsteig gewunken. Es war herzzerreißend, aber es ist
tröstlich zu wissen, dass ich sie bei meiner Rückkehr in zwei Wochen
eh fast alle wiedersehen werde. Mein Zelt habe ich einem armen
Geschäftsmann geschenkt, der versucht hatte, sich seinen Fahrschein am
Automaten zu lösen.
Der ICE, mit dem ich jetzt fahre, ist ziemlich voll, doch ich habe
einen Stehplatz vor dem Klo ergattern können. Hier kann ich mich schön
anlehnen, zumindest solange die Klotür sich nicht öffnet. Aber die
fünf Leute, die drin sind, kommen eh selten nach draußen; es sei denn,
es muss mal jemand auf's Klo.
SAMSTAG
Liebes Tagebuch, wegen der maroden Gleise fährt der Zug langsamer als
er eigentlich könnte. Das macht aber nichts. So können wir in aller
Ruhe die an uns vorbei plätschernde malerische Landschaft genießen.
Das Wetter ist herrlich und es sind viele Fahrradfahrer unterwegs. Sie
winken uns immer fröhlich zu, wenn sie an uns vorbei fahren.
Vor jedem Bahnhof, den wir anlaufen, gibt der Zugchef über
Lautsprecher die Anschlusszüge der letzten paar Monate durch, die wir
übrigens fast alle noch erreichen. Er wünscht allen Fahrgästen, die
aussteigen, zum Abschied noch einen schönen Tag und bedankt sich bei
Ihnen für das Reisen mit der Deutschen Bahn.
Aber aussteigen tut eigentlich kaum jemand, denn dazu sind ja nur die
in der Lage, die einen Stehplatz in unmittelbarer Nähe zu einer Tür
ergattert haben - und das sind ja meistens die, die gerade erst
eingestiegen sind. Anschließend übersetzt der Zugchef seine gesamte
Ansage immer noch mal auf Englisch.
Schließlich ist der ICE ja der "official carrier" für die Expo. Die
Expo ist zwar schon vorbei, aber hier an Bord befinden sich noch
einige Expo-Besucher, die damals in Hannover zugestiegen sind. Man
erkennt sie leicht an den hüftlangen Vollbärten.
Am Ende jeder Durchsage empfiehlt uns der Zugchef immer noch ein paar
Gerichte von der Speisekarte, die für uns im Speisewagen vom
freundlichen Team von der Mitropa aufgetaut werden. Ein Croissant mit
Butter und Honig für 6 Euro 30 hört sich verlockend an, aber zum
Speisewagen zu gelangen ist praktisch unmöglich, denn hier ist absolut
kein Durchkommen.
Auch nicht für den Schaffner, deshalb erleichtern wir ihm die Arbeit
und kontrollieren unsere Fahrscheine gegenseitig. Manchmal brauchen
wir ihn aber doch, wenn es darum geht, Fahrscheine für die Passagiere
nachzulösen, die seit der Abfahrt des Zuges hier geboren wurden.
MONTAG
Liebes Tagebuch, der Zug ist vorhin mitten in der Nacht wieder einmal
auf offener Strecke stehen geblieben. Der Zugchef hat gerade über
Lautsprecher durchgegeben, die Ursache für die kleine Verzögerung sei
diesmal nicht wie sonst eine von Vegetation überwucherte Signalanlage,
sondern ein brennender Triebwagen.
Um der ansteigenden Hitze im Inneren des Zuges entgegenzuwirken,
werden vom freundlichen Team von der Mitropa gekühlte Getränke
verteilt. Leider ist nur noch Kaffee da. Aber immerhin. Der Strom ist
ausgefallen. Doch der Flammenschein spendet genügend Licht, so dass
ich Dir diese Zeilen noch schreiben kann: Was bin ich froh, dass ich
nicht mit dem Auto gefahren bin! Ich hätte sonst nie so viele liebe,
nette Menschen kennen gelernt.
Selten erlebe ich eine Reise so bewusst, intensiv und naturverbunden.
Schön, dass es in dieser schnelllebigen Zeit noch so etwas gibt wie
die Deutsche Bahn.
Grüße