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von Waldfee106 » Do 07.10.04 18:00
2. Kirchenaustritt
2.1 Voraussetzungen im allgemeinen
Die Garantie der Glaubens- und Gewissensfreiheit in Art. 15 BV hat unter anderem zur selbstverständlichen Folge, dass der Austritt aus einer Landeskirche oder irgendeiner Religionsgemeinschaft jederzeit möglich sein muss und nicht durch schikanöse Vorschriften erschwert oder unnötig verzögert werden darf. In diesem Sinne hat das Bundesgericht (BGE 104 Ia 79 f; ASA 48 566) festgestellt, die Garantie der Glaubens- und Gewissensfreiheit verbiete es den Landeskirchen nicht, den Kirchenaustritt zu regeln und durch formelle Erfordernisse einen überstürzten Austritt unter dem momentanen Einfluss von Drittpersonen nach Möglichkeit zu verhindern. Aus der Verfassungsbestimmung sei nicht ohne weiteres abzuleiten, dass eine schriftliche Austrittserklärung ohne weitere Formalitäten akzeptiert werden müsse. Soweit ein kantonales Austrittsverfahren nur der Gewährleistung einer überlegten, klaren Willensäusserung diene, halte es vor diesem Grundrecht stand. Auch das Erfordernis einer beglaubigten Unterzeichnung sei nicht schikanös, sondern gewährleiste die Echtheit der Unterschrift und eine unbeeinflusste Unterzeichnung der entscheidenden Erklärung.
2.2 Austritt aus der katholischen oder evangelischen-reformierten Kirche
Die formelle Regelung des Kirchenaustritts obliegt im Kanton St. Gallen gemäss dem kantonalen Gesetz über die Besorgung der Angelegenheiten des katholischen und des
evangelischen Konfessionsteiles vom 25. Juni 1923 (sGS 171.1) den kirchlichen Körperschaften selber und ist von diesen auch in ihren Verfassungen klar geregelt. Die beiden grossen öffentlichrechtlichen kirchlichen Körperschaften des Kantons St.Gallen stellen genau umschriebene formelle Anforderungen an einen rechtsgültigen Kirchenaustritt.
- Verfassung des Katholischen Konfessionsteils des Kantons St.Gallen vom 18. September 1979 (sGS 173.5), Art. 6 Abs. 2:
Die Zugehörigkeit (zum Konfessionsteil) erlischt, wenn dem Kirchenverwaltungsrat schriftlich und mit beglaubigter Unterschrift der Austritt aus der römisch-katholischen Kirche mitgeteilt wird.
- Verfassung der evangelisch-reformierten Kirche des Kantons St.Gallen vom 13. Januar 1974 (sGS 175.1), Art. 10 Abs. 1:
Mitglied der Kirchgemeinde ist jeder in ihr wohnhafte oder ihr zugeteilte evangelische Einwohner, der nicht schriftlich seinen Austritt oder bei der Wohnsitznahme seine Nichtzugehörigkeit erklärt hat.
Rechtsgültig kann der Austritt aus einer Kirche nur der betreffenden Religionsgemeinschaft gegenüber bekundet werden. Sie befindet über die Zugehörigkeit beziehungsweise Nichtzugehörigkeit einer Person (mittels Austrittsbescheinigung). Die subjektive Steuerpflicht erlischt indessen nicht erst mit der Abgabe der Austrittsbescheinigung, sondern bereits am Tag, an dem der Steuerpflichtige seinen Austritt formell rechtsgültig erklärt.
Anderseits ist es nach dem Untersuchungsgrundsatz jedoch Aufgabe der Steuerbezugsbehörde, Bestand oder Nichtbestand einer subjektiven Steuerpflicht und damit letztlich die konkrete Bezugsberechtigung einer Kirche abzuklären. Diese Sachverhaltsabklärung umfasst nicht etwa einen Entscheid über die Kirchenzugehörigkeit, der - wie erwähnt - allein der Kirche selbst zusteht, sondern lediglich eine Tatsachenaufnahme, die für die subjektive Steuerpflicht und das Steuermass unerlässlich ist.
3. Stille Kirchenaustritte
In den letzten Jahren ist vermehrt festgestellt worden, dass sich Neuzuzüger bei der Steuerbehörde der Zuzugsgemeinde als konfessionslos (dissident) anmelden, obgleich sie nicht formell richtig aus der Kirche ausgetreten sind. Meldet bei solchen stillen Kirchenaustritten die frühere Wohnsitzgemeinde (sofern Zuzug aus der Schweiz), der Steuerpflichtige habe einer im Kanton St. Gallen steuerberechtigten Konfession angehört, obliegt es dem Steuerpflichtigen, den behaupteten Austritt aus der Kirche nachzuweisen. Solange der Beweis für den Austritt nicht erbracht ist, gilt er als Konfessionszugehöriger. Wird der Beweis erbracht, wird er rückwirkend von der Kirchensteuerpflicht befreit.
Hat der Steuerpflichtige in der früheren Wohnsitzgemeinde jedoch keine Kirchensteuer entrichtet und stellt sich die st. gallische Religionsgemeinschaft auf den Standpunkt, der Zuzüger gehöre ihr noch an, hat diese den Beweis dafür zu erbringen, dass der Steuerpflichtige nicht aus der Kirche ausgetreten ist. Auf diese Weise werden alle Personen geschützt, die nie einer Konfession angehört haben (dissident geboren) und daher über keine Austrittsbescheinigung verfügen können, oder deren Kirchenaustritt zeitlich solange zurückliegt, dass nicht erwartet werden darf, sie seien noch im Besitze der Austrittsbescheinigung.
Liebe Grüße
*waldfee106*